Montag, 7. Juni 2004

Im Silbersack versackt…

Vorgestern hat mich ja meine „kleinste“ Schwester mit ihrem Mann besucht, so dass ich gezwungen war, meine Pläne fürs Wochenende (mit der Fernbedienung auf der Couch liegen) umzuschmeißen und sogar die Wohnung verlassen musste.

Um in den nächsten 48 Stunden einen möglichst umfassenden Eindruck von meiner Stadt zu vermitteln, habe ich die beiden kreuz und quer (und vor allen Dingen hoch und runter) durch eben diese gescheucht. Schließlich galt es etliche Vorurteile zu widerlegen, wie zum Beispiel, dass hier im Norden die Gegend flach wie ne Flunder und der Hamburger an sich eher von der zurückhaltenden, ruhigen Art sei.

Ich habe gnadenlos sämtliche Attraktionen vorgeführt und obwohl die beiden seit 5:00 Uhr morgens unterwegs waren, um zu mir zu gelangen, schwächelten sie nur ein bisschen bei der Kanalfahrt – so viel Grün „beruhigt“ ja auch ungemein…

Natürlich waren wir auch auf der Reeperbahn nachts um halb eins…

…natürlich bei Erna im Silbersack. Als wir kamen, war der Laden schon bumsvoll und wir quetschten uns an die Stelle, die alle Kellner immer mit aller Macht und aus gutem Grund verteidigen: die Ausgabe an der Theke. Erstmal an der Quelle floss das Bier in Strömen, aber unser aller Kellner hatte nicht nur eine schicke Föhnwelle, sondern es sonst auch besonders schwer. Er musste nicht nur alle Gäste versorgen, die nicht bis zur Theke durchkamen (und das waren viele, die sich oft dermaßen in den Armen lagen, dass sie sowieso nicht vom Fleck gekommen wären), sondern auch noch die Dukebox bedienen, wenn keiner der Gäste es tat: „Jürgeeen, was ist denn da wieder los. Es gibt keine Musik mehr, drück doch mal was!“ Und Jürgeeen quetschte sich durch die Menschenmassen und drückte dann was…

Das Liedgut, was dann aus der Dukebox plärrte, war allen Gästen durchaus geläufig und wurde gerne lauthals und schunkelnderweise mitgesungen und das überwiegend von Menschen, die im wahren Leben niemals (in Worten: NIEMALS) zugeben würden, dass diese Lieder überhaupt zu ihrem Repertoire gehören (oder dass sie freiwillig in der Öffentlichkeit singen). „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ hat aber eindeutig „douze points“ des singenden Publikums erhalten, wahrscheinlich weil es auch der Realität entsprach.

Es dauerte nicht lange bis es zu neuen, intensiven Freundschaften zwischen vorher Fremden kam, völlig ungeachtet der meist erheblichen Alters- oder Klassenunterschiede. (Mit einer eingeschworenen Gruppe kann man auch den Biernachschub wesentlich besser und billiger organisieren.) Einzig die verschiedenen Geburtsorte der Anwesenden und deren ungebrochener Heimatpatriotismus lies unterschiedliche Meinungen aufkommen, aber sonst hatten wir uns alle lieb und zeigten das auch durch heftigstes Balzen in jede Richtung…

Meine Schwester erklärte mindestens 2 Stunden lang einem sehr wissbegierigen Mann, wie das Rätsel auf dem Bierdeckel zu lösen sei („Natürlich kann man dann den Kohlkopf wieder mitnehmen, sonst wird der doch von der Ziege gefressen…“), während ihr Mann versuchte seinen Gesprächspartnern unsere Verwandtschaftsgrade zu erläutern: „Nein, meine Frau ist nicht die Schwester von der da. Die da ist die Schwester von der da, aber die beiden sind nicht miteinander verwandt…“???

Ich verabschiedete mich derweil von meinem riesigen Gesprächspartner, der aussah wie der aggressive Kerl aus engraver’s U-Bahn, aber ein Herz aus Gold hatte und irgendwas beim Fernsehen war, mit einem herzhaften „Slendger!“, da er in ein Irish Pub weiterziehen wollte, obwohl er es sehr bedauerte, dass ich nicht gewillt war, seiner Einladung, ihn doch zu begleiten, zu folgen. Hier war es eindeutig zu amüsant, um woandershin gehen zu wollen.

Inzwischen rückte ein sehr junger, hübscher Kerl immer näher an meine Seite (der behauptete jetzt mal Praktikant beim Film zu sein) und erzählte mir etwas über seine Vorliebe von Nylonstrümpfen an Frauenbeinen und drängte mir seine Handynummer auf. Mein „Du bist mir zu jung!“ konnte ihn auch nicht davon abhalten, mir viele, „eindeutig nette“ Angebote zu machen, was die gute Grundstimmung noch einmal ein wenig höher ansteigen ließ. Es tut ungemein gut, angehimmelt zu werden.

So gegen 4 Uhr morgens schwächelten meine Schwester, ihr Mann und ich dann doch und wir gingen über beide Backen grinsend endlich nach Hause, nicht ohne uns lange von unseren neuen, besten Freunden verabschiedet zu haben.

Irgendwie scheine ich dann die Nummer doch genommen zu haben und wahrscheinlich war ich so entzückt von seinen Komplimenten, dass ich in meinem geschwächten Zustand wohl im Taxi eine sms losgeschickt habe. Dummer Fehler! Jetzt kriege ich immer so komische Nachrichten wie: Melde dich nach deinem Schönheitsschlaf. Hast du die Nylons noch an? Um ihn in meinem Display zu erkennen – und um nicht zufällig an mein Handy zu gehen, falls er es doch wagen sollte, tatsächlich anzurufen statt zu simsen – habe ich seine Nummer gespeichert und „Silbersack“ genannt. ;-))
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