Silberkugeln...
(eine - nicht ganz frische - Geschichte für gungl - er wollte ja eine... bitte sehr:)
Unsere sogenannte "Beziehung" jährt sich in einer Woche zum 2. Mal. Ehrlich, ich weiß wirklich nicht, wie es dazu kommen konnte. Das war doch ganz anders geplant – vor zwei Jahren – jedenfalls von mir.
Ihm ist es – schätze ich mal – egal, solange es keine Probleme gibt. Ein Problem wäre, wenn unser Verhältnis öffentlich bekannt würde (im Klartext sollte seine Frau praktischerweise nichts davon erfahren) – obwohl er manchmal doch sehr am Rande der "Offenbarung” entlang geschlichen ist, aber wohl eher, um den Kick des Entdecktwerdens auszuprobieren. Es gibt ja nichts Spannenderes, als seine Grenzen auszuloten. Manchmal...
Nun, es ist bestimmt ganz amüsant, heimlich die Schenkel unterm Tisch aneinander zu reiben und sich verstohlen anzulächeln, aber bei dem Gedanken, plötzlich mit einem Messer im Rücken aus der Hand einer liebenden, aber leider eifersüchtigen Ehefrau, die versucht durch diese kleine Geste, den Vater ihrer Kinder wieder an Heim und Herd zu erinnern, aufzuwachen, sträuben sich bei mir dann doch die Nackenhaare. Bei aller Liebe....
Bis jetzt ist mein Rücken noch intakt, das habe ich wohl zwei, drei Gründen zu verdanken:
1. Sie
- entweder sie will es tatsächlich nicht wissen (selektive Wahrnehmung – was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß),
- oder sie weiß es, es ist ihr aber ganz recht, da sie eigentlich nur einen Ernährer ihrer Kinder gesucht (und gefunden) hat und ansonsten nicht viel mit ihm zu tun haben möchte, schon gar nicht im ehelichen Bett (nun ja, sie war ja auch die meiste Zeit schwanger) und deshalb für dieses Arrangement ganz dankbar ist (eher unwahrscheinlich),
- oder er ist ein sehr guter Schauspieler (das ist er ohne Zweifel),
- oder sie ist wirklich so naiv, was ich nicht glaube – das Leben ist nicht soo einfach (allerdings kann Naivität manchmal sehr hilfreich sein und das nicht nur beim Reifenwechsel im Regen),
- oder sie hat auch ein Verhältnis (vielleicht mit einem schönen Jüngling),
- oder sie akzeptiert mich, wie ich sie akzeptiere: als Teil seines Lebens (das wäre die praktische und eher gefühllose Variante).
2. Ich
- Ich verhalte mich still (jedenfalls ihr gegenüber).
- Ich stelle keinerlei Forderungen (nur weil ich Ablehnungen nicht besonders gut verkrafte).
- Ich rufe nicht an (außer mann fordert mich dazu auf).
- Ich bin allzeit bereit, ihn in meine Arme zu schließen (ich frage mich, wieso er das nicht langweilig findet, was er wahrscheinlich tut) und ihn genauso schnell wieder loszulassen (dann kann ich ihn besser vermissen).
- Und ich werde durch die Wand verschwinden, als wäre ich nie da gewesen, wenn es soweit ist (das ist natürlich reiner Selbstbetrug – ES ist nämlich soweit, wenn er einfach verschwindet und nicht mehr anruft).
3. Er
- Er genießt und schweigt.
- Für ihn gehört diese Art zu leben wie selbstverständlich zu einem gewissen Lebensstandard.
- Ansonsten kann er mich genauso gut gebrauchen wie ein Loch im Kopf.
Über Moral wollen wir hier nicht sprechen. (Das würde den Rahmen sprengen und mich noch mehr verwirren.)
Eigentlich verabscheue ich Männer, die Frauen belügen und betrügen, erst recht, wenn diese gerade dabei sind, deren Unsterblichkeit zu sichern, indem sie ihnen süße, purzelige Nachkommen unter Schmerzen gebären. Es ist kaum zu glauben, wozu Männer fähig sind. (Zum Gebären jedenfalls nicht.)
Für mein Verhalten finde ich keine solchen Worte, was wohl reiner Selbstschutz ist, denn zu so einer Schandtat gehören immer zwei.
Um ehrlich zu sein, war es ganz einfach:
Ich war einsam und hatte schon ein halbes Jahr keinen Sex mehr, weil mein damaliger "Verlobter” es vorzog, in eindeutigen Situationen doch lieber für den nächsten Triathlon zu trainieren, als sich auf einen Nahkampf mit mir einzulassen. Ihm ist es bestimmt ebenso ergangen: Zu lange auf dem Trockenen gewesen.
Im Grunde hat alles nur biologische Gründe, ist rein hormonell bedingt und hat nicht im Geringsten etwas mit der sogenannten Moral zu tun. So einfach ist das. (Und ich brauche mir keine Vorwürfe zu machen, dass ich später mal dafür in der Hölle schmoren werde.....überhaupt: welche Hölle????)
Aber warum hat er mich dann eine Woche nach seiner Hochzeit zum Kino und einen Monat später zum Essen (dort habe ich ihm nur von meinem Triathleten vorgeschwärmt und er hat mir detailliert seine Hochzeitsfeier erzählt – ich war ja nur bei einem Teil dabei) eingeladen????
Damals hatte ich die Vorstellung von so etwas wie langjähriger Freundschaft oder der Zusammenkunft der Übriggebliebenen einer ehemaligen Clique oder sonst so etwas Sentimentalem. Jedenfalls habe ich es nicht "ernst" genommen und seine Einladung nur angenommen, weil ich annahm, man müsste soziale Kontakte pflegen, um als Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden.
Im Grunde war er mir egal, es hätte auch jeder andere sein können. Ich konnte mir auch nicht erklären, was ihn dazu veranlasst hat, mich überhaupt anzurufen. Ich habe ihn immer nur angerufen, um ihm abzusagen. Er war nur der Freund eines Ex-Freundes und der Vater eines Kindes, das mich früher immer schon durch seine pure Anwesenheit genervt hat, aber wohl eher weil es völlig grundlos von allen vergöttert wurde und er war der frischgetraute Ehemann einer anscheinend sehr netten Frau – für mich war er ein absolutes Neutrum, geradezu unsichtbar.
Also, was im Himmel veranlasste diesen Mann, gerade mich anzurufen????
(Er kannte meine Sichtweise nicht.) Um ehrlich zu sein, hat es mich zwar verwundert, aber nicht so, dass ich die Energie aufgebracht hätte, um es herauszufinden. Und außerdem höre ich mir gerne bei einem guten Essen ein paar Geschichten an. (Why I go out with those geeky guys? Free Food!)
Auf den Tag genau ein Jahr später lud er mich wieder zum Essen ein. Nur hatte sich inzwischen die Situation geändert – für mich jedenfalls:
Mein Sportler war genau zwei Monate vorher über Nacht eine Unperson geworden, und ich hatte gerade das 1. Stadium der hysterischen Trauer und Selbstzerfleischung, dank der Hilfe einiger Mitmenschen und König Alkohol erfolgreich hinter mich gebracht und war wieder in der Lage, vollständige Sätze zu sprechen und mich etwa eine 3/4 Stunde in der Öffentlichkeit aufzuhalten, ohne mich in einen Heulkrampf hineinzusteigern.
Wir hatten uns das letzte Mal auf der Hochzeit unseres gemeinsamen Freundes gesehen, nach der mein Verlobter das Zeitliche gesegnet hatte, ich für 6 Wochen zu einem Gemüse mutierte und er viel zu spät kam, weil er ständig die Autobahn verlassen musste, damit seine schwangere Frau die Möglichkeit hatte, in den deutschen Wald statt in den italienischen Wagen zu kotzen.
Auf dieser Hochzeit (wie auf der letzten, auf der wir beide anwesend waren – seiner) beschloss er also, mich wiedersehen zu wollen und rief deshalb auf den Tag genau zwei Monate (und auf den Tag genau ein Jahr später als beim letzten Essen) an, um mich mal wieder einzuladen.
Ich willigte ein. Schließlich gab es viel zu erzählen und ich hatte seit langem mal wieder Hunger. (Der Mensch ist nur bedingt auf der Hut, wenn seine Sinne gestreichelt werden.... – wie Peter Hoeg durch Smilla schon wußte.)
Es stellte sich heraus, dass er sich in einer anderen Stadt aufhielt und ich für ein nettes Gespräch und eine warme Mahlzeit ein Flugzeug besteigen, in der anderen Stadt übernachten (!!!) und in aller Herrgottsfrühe wieder zurückfliegen musste, um rechtzeitig wieder an meinem Arbeitsplatz erscheinen zu können. Das Ticket lag schon am Flughafen bereit.
Ich konnte es nicht fassen, war aber geschmeichelt. Ja, es wäre ja nicht das erste Mal (sondern das zweite Mal) gewesen, dass ich ohne Rückflugticket in einer fremden Stadt gestrandet wäre, nur weil der Big Spender sich insgeheim doch mehr versprach, als nette Gesellschaft bei seiner Nahrungsaufnahme, aber das ist eine andere Geschichte und der Grund, warum ich seitdem das Haus nicht mehr ohne Plastikgeld verlasse. Allerdings finde ich es sehr beruhigend, dass sich bei hinterlegten Tickets das Rückflugticket schon vor dem Hinflug in meinem Besitz befindet.
Es gibt Menschen, die nie in solche unglücklichen Situationen kommen, weil sie viel öfter die angebrachte Frage: "Warum?” stellen, die mir bei solchen Gelegenheiten ungesunderweise fast nie in den Sinn kommt. ("Warum nicht?” ist mir irgendwie geläufiger.)
Ich musste also nicht über meinen Schatten springen, um zu fliegen. Schon eher, um endlich die Frage nach diesem "Warum” zu stellen, denn die Metamorphose vom Neutrum zum Geheimnis und schließlich zum geheimnisvollen Verlangen vollzieht sich fast unbemerkt und rasend schnell – plötzlich hat man das Gefühl, aufgewacht zu sein oder endlich den ersehnten Traum zu träumen – vielleicht irgendwie angekommen zu sein.
Man stellt Fragen, weil man nicht glaubt, was passiert, oder auch nur, um nicht vollends die Orientierung zu verlieren. (Als ob das helfen würde....)
Wir liefen – nach dem gemeinsamen Essen mit verwirrten und erwartungsvollen Blicken, das durch belanglose Gespräche, die unsere Nervosität überspielen sollten, unterbrochen wurden – mitten in der Nacht durch den herbstlichen, eiskalten Sturm.
Stürme sind wunderbar. Er hielt mich ritterlich fest, um mich zu wärmen und da wir auf dem Weg zum Hotel waren, stellte ich dann endlich die Frage:
"Warum???”
"Was machen wir hier?”
"Wohin soll das führen?”
Kurz gesagt: Er hatte auch keine Antwort.
"Ich wollte dich wiedersehen.”
Nun, das hätte er jederzeit auch in unserer Stadt haben können, ohne den ganzen Aufwand mit Flugzeugen, Hotelzimmern und Schlafentzug. Also warum das ganze Theater?
Mir kam langsam der Verdacht, dass er vielleicht doch nicht der schüchterne kleine Junge war, für den ich ihn immer gehalten habe, sondern dass er dieses Image als raffinierte Tarnung benutzt, um ein Doppelleben als Werwolf zu führen.
Ich habe nichts gegen Werwölfe - wirklich nicht. Sie haben sogar eine gewisse Anziehungskraft auf mich. Ich bin selbst mondsüchtig, aber ich wüßte nur gerne vorher Bescheid, damit ich die richtigen Utensilien dabei habe. Ich bin gerne vorbereitet. Bei Werwölfen kommt man mit Plastikkarten nicht weit. Silberkugeln sind angebrachter.
Ich habe mich tapfer gesträubt – ein paar Tage lang – aber mein Egoismus, meine Hormone, mein Verlangen, meine Neugier, der Mond, die Umstände, seine Beharrlichkeit, seine romantischen, weltweiten Anrufe, die vergangene Zeit, die Trennungen, die vermeintlich verpassten Chancen und die Aussicht auf aufregenden Sex und ein bisschen Glück haben mich dann über ihn herfallen lassen, als ob ich der Werwolf wäre und nicht er. Aber ich kann immer noch behaupten, dass er mich dazu getrieben hat.
Es ist sehr schön, mit Werwölfen die Nächte zu verbringen. Werwölfe sind für dich da – in dem kurzen Augenblick, in dem sie auftauchen. Du kannst alles von ihnen haben – nur keine Zeit, aber das ist dir ja egal....
Sie umwerben dich, sie verwöhnen dich und sie saugen dich aus, bis nichts mehr von dir übrig ist. Aber was ist schon ein normales Leben gegen eine Nacht mit einem Werwolf (auch wenn es niemand wissen darf)???
Inzwischen habe ich Silberkugeln. Ich trage sie immer bei mir – schussbereit.
Sie hindern mich daran, das Telefon zu verfluchen, auf Türen zu starren, verzweifelnd auf ihn zu warten, ihn immer bei mir haben zu wollen (niemand hält einen Werwolf ohne bleibende Schäden an Körper und Geist längere Zeit aus). Sie zeigen mir, wie man auch die Nächte genießen kann, in denen sich der wunderbare Mond nur teilweise zeigt und dass es ein Leben am Tage gibt.
Jetzt muss ich die Silberkugeln nur noch abschießen...
...schließlich gibt es wirklich noch andere Probleme!
Unsere sogenannte "Beziehung" jährt sich in einer Woche zum 2. Mal. Ehrlich, ich weiß wirklich nicht, wie es dazu kommen konnte. Das war doch ganz anders geplant – vor zwei Jahren – jedenfalls von mir.
Ihm ist es – schätze ich mal – egal, solange es keine Probleme gibt. Ein Problem wäre, wenn unser Verhältnis öffentlich bekannt würde (im Klartext sollte seine Frau praktischerweise nichts davon erfahren) – obwohl er manchmal doch sehr am Rande der "Offenbarung” entlang geschlichen ist, aber wohl eher, um den Kick des Entdecktwerdens auszuprobieren. Es gibt ja nichts Spannenderes, als seine Grenzen auszuloten. Manchmal...
Nun, es ist bestimmt ganz amüsant, heimlich die Schenkel unterm Tisch aneinander zu reiben und sich verstohlen anzulächeln, aber bei dem Gedanken, plötzlich mit einem Messer im Rücken aus der Hand einer liebenden, aber leider eifersüchtigen Ehefrau, die versucht durch diese kleine Geste, den Vater ihrer Kinder wieder an Heim und Herd zu erinnern, aufzuwachen, sträuben sich bei mir dann doch die Nackenhaare. Bei aller Liebe....
Bis jetzt ist mein Rücken noch intakt, das habe ich wohl zwei, drei Gründen zu verdanken:
1. Sie
- entweder sie will es tatsächlich nicht wissen (selektive Wahrnehmung – was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß),
- oder sie weiß es, es ist ihr aber ganz recht, da sie eigentlich nur einen Ernährer ihrer Kinder gesucht (und gefunden) hat und ansonsten nicht viel mit ihm zu tun haben möchte, schon gar nicht im ehelichen Bett (nun ja, sie war ja auch die meiste Zeit schwanger) und deshalb für dieses Arrangement ganz dankbar ist (eher unwahrscheinlich),
- oder er ist ein sehr guter Schauspieler (das ist er ohne Zweifel),
- oder sie ist wirklich so naiv, was ich nicht glaube – das Leben ist nicht soo einfach (allerdings kann Naivität manchmal sehr hilfreich sein und das nicht nur beim Reifenwechsel im Regen),
- oder sie hat auch ein Verhältnis (vielleicht mit einem schönen Jüngling),
- oder sie akzeptiert mich, wie ich sie akzeptiere: als Teil seines Lebens (das wäre die praktische und eher gefühllose Variante).
2. Ich
- Ich verhalte mich still (jedenfalls ihr gegenüber).
- Ich stelle keinerlei Forderungen (nur weil ich Ablehnungen nicht besonders gut verkrafte).
- Ich rufe nicht an (außer mann fordert mich dazu auf).
- Ich bin allzeit bereit, ihn in meine Arme zu schließen (ich frage mich, wieso er das nicht langweilig findet, was er wahrscheinlich tut) und ihn genauso schnell wieder loszulassen (dann kann ich ihn besser vermissen).
- Und ich werde durch die Wand verschwinden, als wäre ich nie da gewesen, wenn es soweit ist (das ist natürlich reiner Selbstbetrug – ES ist nämlich soweit, wenn er einfach verschwindet und nicht mehr anruft).
3. Er
- Er genießt und schweigt.
- Für ihn gehört diese Art zu leben wie selbstverständlich zu einem gewissen Lebensstandard.
- Ansonsten kann er mich genauso gut gebrauchen wie ein Loch im Kopf.
Über Moral wollen wir hier nicht sprechen. (Das würde den Rahmen sprengen und mich noch mehr verwirren.)
Eigentlich verabscheue ich Männer, die Frauen belügen und betrügen, erst recht, wenn diese gerade dabei sind, deren Unsterblichkeit zu sichern, indem sie ihnen süße, purzelige Nachkommen unter Schmerzen gebären. Es ist kaum zu glauben, wozu Männer fähig sind. (Zum Gebären jedenfalls nicht.)
Für mein Verhalten finde ich keine solchen Worte, was wohl reiner Selbstschutz ist, denn zu so einer Schandtat gehören immer zwei.
Um ehrlich zu sein, war es ganz einfach:
Ich war einsam und hatte schon ein halbes Jahr keinen Sex mehr, weil mein damaliger "Verlobter” es vorzog, in eindeutigen Situationen doch lieber für den nächsten Triathlon zu trainieren, als sich auf einen Nahkampf mit mir einzulassen. Ihm ist es bestimmt ebenso ergangen: Zu lange auf dem Trockenen gewesen.
Im Grunde hat alles nur biologische Gründe, ist rein hormonell bedingt und hat nicht im Geringsten etwas mit der sogenannten Moral zu tun. So einfach ist das. (Und ich brauche mir keine Vorwürfe zu machen, dass ich später mal dafür in der Hölle schmoren werde.....überhaupt: welche Hölle????)
Aber warum hat er mich dann eine Woche nach seiner Hochzeit zum Kino und einen Monat später zum Essen (dort habe ich ihm nur von meinem Triathleten vorgeschwärmt und er hat mir detailliert seine Hochzeitsfeier erzählt – ich war ja nur bei einem Teil dabei) eingeladen????
Damals hatte ich die Vorstellung von so etwas wie langjähriger Freundschaft oder der Zusammenkunft der Übriggebliebenen einer ehemaligen Clique oder sonst so etwas Sentimentalem. Jedenfalls habe ich es nicht "ernst" genommen und seine Einladung nur angenommen, weil ich annahm, man müsste soziale Kontakte pflegen, um als Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden.
Im Grunde war er mir egal, es hätte auch jeder andere sein können. Ich konnte mir auch nicht erklären, was ihn dazu veranlasst hat, mich überhaupt anzurufen. Ich habe ihn immer nur angerufen, um ihm abzusagen. Er war nur der Freund eines Ex-Freundes und der Vater eines Kindes, das mich früher immer schon durch seine pure Anwesenheit genervt hat, aber wohl eher weil es völlig grundlos von allen vergöttert wurde und er war der frischgetraute Ehemann einer anscheinend sehr netten Frau – für mich war er ein absolutes Neutrum, geradezu unsichtbar.
Also, was im Himmel veranlasste diesen Mann, gerade mich anzurufen????
(Er kannte meine Sichtweise nicht.) Um ehrlich zu sein, hat es mich zwar verwundert, aber nicht so, dass ich die Energie aufgebracht hätte, um es herauszufinden. Und außerdem höre ich mir gerne bei einem guten Essen ein paar Geschichten an. (Why I go out with those geeky guys? Free Food!)
Auf den Tag genau ein Jahr später lud er mich wieder zum Essen ein. Nur hatte sich inzwischen die Situation geändert – für mich jedenfalls:
Mein Sportler war genau zwei Monate vorher über Nacht eine Unperson geworden, und ich hatte gerade das 1. Stadium der hysterischen Trauer und Selbstzerfleischung, dank der Hilfe einiger Mitmenschen und König Alkohol erfolgreich hinter mich gebracht und war wieder in der Lage, vollständige Sätze zu sprechen und mich etwa eine 3/4 Stunde in der Öffentlichkeit aufzuhalten, ohne mich in einen Heulkrampf hineinzusteigern.
Wir hatten uns das letzte Mal auf der Hochzeit unseres gemeinsamen Freundes gesehen, nach der mein Verlobter das Zeitliche gesegnet hatte, ich für 6 Wochen zu einem Gemüse mutierte und er viel zu spät kam, weil er ständig die Autobahn verlassen musste, damit seine schwangere Frau die Möglichkeit hatte, in den deutschen Wald statt in den italienischen Wagen zu kotzen.
Auf dieser Hochzeit (wie auf der letzten, auf der wir beide anwesend waren – seiner) beschloss er also, mich wiedersehen zu wollen und rief deshalb auf den Tag genau zwei Monate (und auf den Tag genau ein Jahr später als beim letzten Essen) an, um mich mal wieder einzuladen.
Ich willigte ein. Schließlich gab es viel zu erzählen und ich hatte seit langem mal wieder Hunger. (Der Mensch ist nur bedingt auf der Hut, wenn seine Sinne gestreichelt werden.... – wie Peter Hoeg durch Smilla schon wußte.)
Es stellte sich heraus, dass er sich in einer anderen Stadt aufhielt und ich für ein nettes Gespräch und eine warme Mahlzeit ein Flugzeug besteigen, in der anderen Stadt übernachten (!!!) und in aller Herrgottsfrühe wieder zurückfliegen musste, um rechtzeitig wieder an meinem Arbeitsplatz erscheinen zu können. Das Ticket lag schon am Flughafen bereit.
Ich konnte es nicht fassen, war aber geschmeichelt. Ja, es wäre ja nicht das erste Mal (sondern das zweite Mal) gewesen, dass ich ohne Rückflugticket in einer fremden Stadt gestrandet wäre, nur weil der Big Spender sich insgeheim doch mehr versprach, als nette Gesellschaft bei seiner Nahrungsaufnahme, aber das ist eine andere Geschichte und der Grund, warum ich seitdem das Haus nicht mehr ohne Plastikgeld verlasse. Allerdings finde ich es sehr beruhigend, dass sich bei hinterlegten Tickets das Rückflugticket schon vor dem Hinflug in meinem Besitz befindet.
Es gibt Menschen, die nie in solche unglücklichen Situationen kommen, weil sie viel öfter die angebrachte Frage: "Warum?” stellen, die mir bei solchen Gelegenheiten ungesunderweise fast nie in den Sinn kommt. ("Warum nicht?” ist mir irgendwie geläufiger.)
Ich musste also nicht über meinen Schatten springen, um zu fliegen. Schon eher, um endlich die Frage nach diesem "Warum” zu stellen, denn die Metamorphose vom Neutrum zum Geheimnis und schließlich zum geheimnisvollen Verlangen vollzieht sich fast unbemerkt und rasend schnell – plötzlich hat man das Gefühl, aufgewacht zu sein oder endlich den ersehnten Traum zu träumen – vielleicht irgendwie angekommen zu sein.
Man stellt Fragen, weil man nicht glaubt, was passiert, oder auch nur, um nicht vollends die Orientierung zu verlieren. (Als ob das helfen würde....)
Wir liefen – nach dem gemeinsamen Essen mit verwirrten und erwartungsvollen Blicken, das durch belanglose Gespräche, die unsere Nervosität überspielen sollten, unterbrochen wurden – mitten in der Nacht durch den herbstlichen, eiskalten Sturm.
Stürme sind wunderbar. Er hielt mich ritterlich fest, um mich zu wärmen und da wir auf dem Weg zum Hotel waren, stellte ich dann endlich die Frage:
"Warum???”
"Was machen wir hier?”
"Wohin soll das führen?”
Kurz gesagt: Er hatte auch keine Antwort.
"Ich wollte dich wiedersehen.”
Nun, das hätte er jederzeit auch in unserer Stadt haben können, ohne den ganzen Aufwand mit Flugzeugen, Hotelzimmern und Schlafentzug. Also warum das ganze Theater?
Mir kam langsam der Verdacht, dass er vielleicht doch nicht der schüchterne kleine Junge war, für den ich ihn immer gehalten habe, sondern dass er dieses Image als raffinierte Tarnung benutzt, um ein Doppelleben als Werwolf zu führen.
Ich habe nichts gegen Werwölfe - wirklich nicht. Sie haben sogar eine gewisse Anziehungskraft auf mich. Ich bin selbst mondsüchtig, aber ich wüßte nur gerne vorher Bescheid, damit ich die richtigen Utensilien dabei habe. Ich bin gerne vorbereitet. Bei Werwölfen kommt man mit Plastikkarten nicht weit. Silberkugeln sind angebrachter.
Ich habe mich tapfer gesträubt – ein paar Tage lang – aber mein Egoismus, meine Hormone, mein Verlangen, meine Neugier, der Mond, die Umstände, seine Beharrlichkeit, seine romantischen, weltweiten Anrufe, die vergangene Zeit, die Trennungen, die vermeintlich verpassten Chancen und die Aussicht auf aufregenden Sex und ein bisschen Glück haben mich dann über ihn herfallen lassen, als ob ich der Werwolf wäre und nicht er. Aber ich kann immer noch behaupten, dass er mich dazu getrieben hat.
Es ist sehr schön, mit Werwölfen die Nächte zu verbringen. Werwölfe sind für dich da – in dem kurzen Augenblick, in dem sie auftauchen. Du kannst alles von ihnen haben – nur keine Zeit, aber das ist dir ja egal....
Sie umwerben dich, sie verwöhnen dich und sie saugen dich aus, bis nichts mehr von dir übrig ist. Aber was ist schon ein normales Leben gegen eine Nacht mit einem Werwolf (auch wenn es niemand wissen darf)???
Inzwischen habe ich Silberkugeln. Ich trage sie immer bei mir – schussbereit.
Sie hindern mich daran, das Telefon zu verfluchen, auf Türen zu starren, verzweifelnd auf ihn zu warten, ihn immer bei mir haben zu wollen (niemand hält einen Werwolf ohne bleibende Schäden an Körper und Geist längere Zeit aus). Sie zeigen mir, wie man auch die Nächte genießen kann, in denen sich der wunderbare Mond nur teilweise zeigt und dass es ein Leben am Tage gibt.
Jetzt muss ich die Silberkugeln nur noch abschießen...
...schließlich gibt es wirklich noch andere Probleme!
Desideria - 2004-07-15 20:16
3112
mörder lange geschichte
Toll...
Aber Humor und Stolz muss man doch IMMER behalten!!!!!!!
stimmt