Montag, 2. März 2009

Kein Konzertbericht ...

Durch eine Verkettung von günstigen Umständen hatte ich letzten Freitag die Möglichkeit, eine Reise in die Vergangenheit anzutreten, aber wie man weiß, kann so etwas durchaus Übel & Gefährlich werden. Um diese Unternehmung ohne Schaden an Körper und Geist zu überstehen, habe ich zwei Begleiter mitgenommen, einen Freund, der die wilde Zeit in Düsseldorf miterlebte und seinen 14-jährigen Sohn, der seinen schon großen Vater noch um ein paar Zentimeter überragt und deshalb wesentlich älter wirkt, aber von dieser Art von Musik noch nie gehört hat. Wie auch? Als D.A.F. zum ersten Mal den Mussolini tanzte, war er noch nicht mal in der langfristigen Lebensplanung seiner Eltern vorgesehen. Ich befürchtete, dass der Kulturschock (bzw. das Thema der Texte, von dem er noch nicht so wirklich Ahnung hat) vielleicht zu groß für ihn sein würde und bewunderte den "Kleinen" für seinen Mut, mitzukommen.

Zuerst konnte ich mir nicht vorstellen, das irgendjemand außer mir und G., die Deutsch Amerikanische Freundschaft überhaupt kennt, nach soo langer Zeit und dann noch hier im hohen Norden. Aber allein, dass Herr Paulsen sich schon eine Eintrittskarte gekauft hatte, die er dann aber umständehalber ausgerechnet mir vermachte, hätte mich schon stutzig machen müssen.

Bei mir war das ja etwas anderes, ich kenne die beiden Protagonisten seit gefühlten hundert Jahren, weil wir damals in demselben Dorf wohnten, nämlich Düsseldorf. Das ganze "Ausnahme-Leben" spielte sich zu dieser Zeit rund um eine Straße ab, der Ratinger, schon 200 Meter weiter, war alles wieder "normal". Damals in Dazzledorf war alles Kunst und jeder ein Künstler, der sich im Bannkreis dieser Straße herumtrieb, um seine Jugend zu verschwenden. Am Rande der Altstadt gelegen, in der Nähe der Kunsthochschule, die Herrn Beuys und viel später Herrn Immendorff verstieß und dann wieder huldigte, mit dem Herzen im Ratinger Hof und doch am Ende der angeblich längsten Theke der Welt, war diese Straße wohl die Stätte so manch "künstlicher Eingebung".

Ich war damals Barschlampe (ich war jung und brauchte das Geld) Discoqueen und all diese "Künstler" gaben sich an meiner Theke das Glas in die Hand, denn egal ob man malend, fotografierend, singend, musizierend, bildhauernd, schneidernd oder gar dozierend den Rest der Kunstwelt beglückte, alle hatten eins gemeinsam: Man feierte gern und wild, vorzugsweise sich selbst. Die Blütezeit des Happenings und der Provokation, was damals noch weitgehend funktionierte.

Da ich Tag und Nacht arbeite, kannte ich die skurrilen Ess- und Trinkgewohnheiten zu jeder Tages- und Nachtzeit und natürlich andere Angewohnheiten, die ich hier aber nicht ausplaudern will, aber ich könnte Ihnen Dinge erzählen ... diverser Berühmtheiten, die mein gastronomisches und privates Leben streiften. Fast alle diese Lichtgestalten zeichneten sich durch eine gewisse - sagen wir mal - "Ausdrucksstärke" mit entsprechenden Dezibel aus, gepaart mit einem gesunden Selbstvertrauen und einer schwarzen Kluft, manche trugen als Ausgleich dieser Eintönigkeit verstörende Frisuren oder überladenen Goldschmuck an den Händen.

Aber es gab auch eine Art von Künstler, der seine Kunst nicht mit ins Privatleben nahm, sondern der auf der Bühne, und nur da, dem Tier in seinem Inneren Auslauf gewährte und sobald die Scheinwerfer ausgingen, sofort wieder zu einem stillen, höflichen und eher schüchternen Zeitgenossen mutierte. Robert war zum Beispiel so einer. Er kam oft zum Frühstück und man konnte froh sein, wenn er einen anschaute, um noch einen Milchkaffee zu bestellen. Ich habe mich immer gefragt, wie so ein schüchterner Mensch es auf die Bühne geschafft hat. Das muss wohl an Gabi gelegen haben, der war ja nun alles andere als zurückhaltend. Das mit den Gegensätzen, die sich anziehen, scheint ja doch zu stimmen. Hat jedenfalls bei den beiden geklappt und anscheinend sehr lange gehalten, sonst hätte ich ja letzten Freitag dieses Konzert nicht besuchen können.

Unsere inhomogene Gruppe steht also unter immer mehr werdenden schwarz angezogenen Menschen im Bunker unter silbernen Lüftungsrohren und goldenen Kronleuchtern an Betondecken rum, trinkt Bier und wartet auf die Dinge, die da kommen mögen.
„Mit welchem von den beiden hattest du denn eigentlich ein Verhältnis?“
„Ich? Mit keinem! Wie kommst du bloß darauf?“
„Hat er dir nicht mal eine Privatvorstellung gegeben?“
„Ach ja, das, das war „Liebe auf den ersten Blick“ diese komische Anziehungskraft, wenn man einer irgendwie vertrauten Person aus seiner Heimat, plötzlich in einer ganz anderen Stadt zufällig begegnet und obwohl man zu Hause nicht viel miteinander zu tun hatte, jetzt auf einmal so ein Gefühl entwickelt, was wohl eine Symbiose aus Heimweh, „Weißt du noch?“ und „Wir gehören in der Fremde zusammen!“ ist und meist mit einem: „Was machst DU denn hier?“ harmlos anfängt und dann in einem Hotelzimmer endet, um bei einem prickelnden, alkoholischen Erfrischungsgetränk ein Update des inzwischen fremdstädtischen Lebens auszutauschen, aber als er anfing, Teile seiner Songtexte in mein Ohr zu säuseln (entweder konnte er nicht abschalten oder er glaubte wirklich, dass mich dieser Text:

Du, du, du machst mich verrückt !
Du machst mich verliebt !
Oh mein Mädchen !
Und Du!
Du machst mich verrückt, mein Mädchen !
Du machst mich verliebt, mein Mädchen !
Und das ist Liebe !
Oh mein Mädchen !
Das ist Liebe !
Oh mein Mädchen !
Du!
Küss mich !
Küss mich !
Oh mein Mädchen !

irgendwie beeindrucken würde), kämpfte ich wirklich mit den Auswirkungen auf mein Zwergfell. Gut, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er diese Zeilen allabendlich auf der Bühne ins Mikro schreien würde, hätte ich das vielleicht süß gefunden (ein Spanier versucht auf Deutsch zu flirten), aber so konnte ich nicht anders, als mich kurz ins Badezimmer zu verziehen, breit grinsend mit dem damals obligatorischen Kajal eine falsche Telefonnummer an den Spiegel mit Herz drumrum zu malen und dann schleunigst das Hotel zu verlassen, um dann in meinem eigenen Bett in süße Träume abzudriften
. Hat aber nicht lang gedauert. Gibt es heutzutage eigentlich noch One-Night-Stands?“
„Ich glaube, nicht.“
„Dem Himmel sei Dank!“

Die Vorgruppe bestand im Wesentlichen aus einem schwulen Sänger im Matrosenlook, der die Schuld an seinem Leid zum größten Teil seiner geliebten Mama anlastete und dies jetzt musikalisch aufarbeitete. Er wurde von einem Mädchen gesanglich unterstütz, was allerdings niemand so richtig hören konnte, da ihr Mikrophon wohl defekt war. Allein ihre Präsenz auf der Bühne und die immer gleiche Schlenkerbewegung ihrer Arme über dem Kopf, ließ uns ahnen, dass sie wohl auch sang.

Lumix 372

Inzwischen war der Laden mit schwarzgekleideten Menschen gefüllt (im Grunde hat sich ja nichts geändert in all der Zeit), die leider so überhaupt kein Verständnis für die Sangeskunst des Matrosen hatten und so wurde nur richtig applaudiert, als die Band ihren letzten Song ankündigte. Ich frage mich immer noch, was in aller Welt denjenigen getrieben haben muss, der diese Vorgruppe einem DAF-Publikum zum Fraß vorgeworfen hat. Gehässigkeit? Sadismus? Häme? Ignoranz?

Egal, jetzt kamen Gabi und Robert auf die Bühne und noch viel mehr Menschen in Schwarz stürmten aus dem Raucherraum vor die Bühne. Robert nahm, wie es so seine Art ist, den unscheinbaren Platz hinter dem Schlagzeug ein, wo man ihn fast nicht mehr sehen konnte, aber die Show machte eh ein anderer. Dessen ehemals wilde schwarze Locken waren jetzt einem grauen Ultrakurzschnitt gewichen, aber um davon abzulenken, durften wir alle einen Blick auf seinen Bauchmuskulatur werfen, die nicht von seinem Hemd verdeckt wurde. Man(n) zeigt ja gerne, was man hat. Gut, da steckt auch viel Arbeit drin, die schließlich honoriert werden soll. Sah wirklich gut aus. Respekt! Allerdings bäumte sich da mein schlechtes Gewissen unangenehm auf und ich beschloss gleich morgen früh wieder durch den Park zu joggen.

Gabi

Aber der wirklich Unterschied zu früher war das Verhalten des Publikums. Während wir früher versuchten, so teilnahmslos wie möglich zu wirken, während der Künstler sich verausgabte, tobten diese Menschen schon beim ersten Ton pogomäßig rum. Vielleicht liegt es daran, dass heute das Rauchverbot in Konzertsälen ungeahnte Energien freisetzt, denn früher hatte man ja genug damit zu tun, den Joint kreisen zu lassen eine Zigarette zu halten.

Ansonsten war die Zeit stehen geblieben. Alles wie früher. Man(n) tanzte den Mussolini und andere Diktatoren, huldigte dem Austausch von Körperflüssigkeiten und brüllte dabei den jeweiligen Text stakkato mäßig ins Mikrophon, auf dass das Herz schneller schlagen möge. Es ist schon lange her, dass bei einem Konzert meine Kleidung vibrierte. Nun gut, ich stand auf einem Holzpodest, aber trotzdem, ich war schwer erschüttert beeindruckt. Dabei hat Herr Delgado kein Megaphon benutzt, wie der Matrose vor ihm.

Die Stücke waren musikalisch kaum von einander zu unterscheiden (auch wie früher), nur bei einem schwangen auf einmal orientalische Klänge mit, was mich nachhaltig verwirrte, aber die Botschaft, dass er den Sex im Raum spüren würde, beruhigte mich wieder und erinnerte mich daran, dass ich kurz nach unserem Intermezzo in München ein Gerücht gehört hatte, dass Gabi ein Mädchen gefunden hätte, mit der er sich 2 Jahre einschließen wollte, um die Sexualität neu zu erfinden (und zu vertonen). Ich weiß leider nicht, was aus dem Projekt geworden ist.

Nach dem orientalischen Ausrutscher ging aber alles weiter wie gehabt und obwohl ich erst bis zum bitteren Ende bleiben wollte, entschloss ich mich dann doch das Angebot meiner Begleiter, mich nach Hause zu fahren, anzunehmen. Ein „Was machst DU denn hier?“ würde sowieso nicht an mein Ohr getragen werden, außerdem hatte ich keinen Kajalstift dabei. Deshalb kann ich leider nichts über die wahrscheinlichen Zugaben sagen. Tut mir leid, Herr Paulsen, Sie sehen, ich eigne mich nicht gut als Konzertkritiker, erst recht nicht, da ich, als alle anderen DAF-Fans waren, lieber Prince gehört habe.






Dafür habe ich am nächsten Morgen dem Drängen meines schlechten Gewissens nachgegeben und bin im Kapuzenshirt auf dem „Rock ‘n Roll Übermensch“ prangte durch den Park gelaufen …
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