Im Tiefflug nach Wien …

Wieder mal habe ich das Billigticket ad absurdum geführt, da ich den Taxifahrer mit hohen Summen bestechen musste, damit er die beim Packen verlorene Zeit auf dem Weg zum Flughafen wieder aufholt. Mit nassen Haaren und ungeschminkt versteht sich. Flieger gerade noch trotz Ferienanfang erwischt, aber nur weil ich in der falschen (kürzeren) Schlange stand und mir ein jetzt schon genervter Wir-versuchen-das-Chaos-so-klein-wie-möglich-zu-halten-Helfer auf mein Blondsein ansprang und mir eine Bordkarte besorgte. Leider konnte er mir meinen Wunsch nach einem Fensterplatz nicht erfüllen, sodass ich eingequetscht zwischen der älteren Dame, die sehr nervös den Kopf hin- und herwarf, und dem obercoolen Anzugträger, der alle in der Sitztasche vorhandenen lesbaren Broschüren und Airlinepublikationen in Windeseile noch vor dem Start durchblätterte und dann ermattet einschlief, allerdings nicht ohne mit den Armen sein Revier großräumig auf beiden Armlehnen abzustecken, sitzen musste.

Ich bin von Haus aus nicht besonders sozial verträglich und es ist mir ein Graus, mich mit fremden Menschen über Nichtigkeiten unterhalten zu müssen. Deshalb verschanze ich mich so gut wie möglich hinter einem Buch oder anderen möglichst großformatigen Barrieren, damit niemand es wagt, mich anzusprechen. Diesmal war es Murakamis „Gefährliche Geliebte“ mit der ich die ältere Dame in Schach zu halten gedachte. Vergeblich.

„Entschuldigen Sie, kann ich Sie etwas fragen, wenn es nötig ist?“

Buch runter, Hajime hatte gerade auf dem Sofa von Shimamotos Eltern seine Liebe für klassische Musik entdeckt, gequältes Lächeln meinerseits: „Sicher.“ Was soll denn das überhaupt heißen: „...wenn es nötig ist“? Meint sie solche Fragen wie: „Wieso funktioniert meine Sauerstoffmaske nicht?“ oder „Was hat der junge Mann mit dem Maschinengewehr gerade gesagt?“. Na vielleicht gehört sie zu den bedauernswerten Menschen, die unter Flugangst leiden oder zum ersten Mal in einem Flieger sitzen und sich nicht erklären können, warum so viel Stahl nicht wie ein Stein vom Himmel fällt.

„Kommen Sie auch aus Hamburg?“
„Ja.“
„Oh, dann haben wir ja schon soo viel gemeinsam!“ lachte sie voller Glückseligkeit und ein wenig zu laut. Wenigstens behielt sie die Frage, ob ich zufällig auch nach Wien fliege, für sich. Gut, Buch wieder auf Schutzschildhöhe.

Zweidrei Seiten später, Hajime hat inzwischen die Schule gewechselt, werden wir mit einem kleinen Imbiss beglückt – Kuchen und Salat (tolle Kombination). Ich wiederhole geduldig die Fragen der Stewardess, klappe Ömchen den Tisch runter und zeige ihr das Milchpulver für ihren Kaffee. Weiterlesen.

Sie isst den Kuchen, verschmäht aber den Salat und versucht umständlich, die in den Deckel der Lunchbox integrierte Postkarte zu lösen, um den Lieben zu Hause die Werbebotschaft dieser Fluglinie nicht vorzuenthalten, ohne dabei die kleinen Plastikschalen mit den Essensresten vom Klapptisch zu kicken. Dann folgt ein nicht so Erfolg versprechendes Unterfangen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit den verschmähten Salat auf meine Hose katapultiert hätte, wenn ich nicht sofort eingeschritten wäre.

„Warten Sie, ich habe einen Stift griffbereit.“ Ein kurzer Griff in meine Tasche und ich reichte ihr 4 verschieden Schreibwerkzeuge. Um ihr Glück perfekt zu machen, bot ich ihr auch noch meinen, von mir verschmähten, Kuchen an. Sie wollte aber lieber, und das auch nur, wenn es mir wirklich nichts ausmachen würde, die Postkarte aus meiner Imbissschachtel für ihren Sohn, der vergessen hatte, ihr das Brot einzupacken, deshalb würde ihn der Mayonnaisenfleck, der meine Postkarte schon zierte, auch nicht stören, sondern nur noch klarer daran erinnern. Bitte sehr, kein Problem und den Kuchen noch dazu. Zurück zu Hajime, der inzwischen Shimamoto durch Izumi ersetzt hatte.

„Wissen Sie, durch ihre Herzlichkeit ist mein Krampf im Bein verschwunden.“ strahlte sie mich plötzlich an. Da bemühe ich mich mit allen Kräften, möglichst unnahbar oder wenigstens schlecht gelaunt zu wirken, damit man mich in Ruhe lässt und dann so etwas. Und das auch noch während Hajime seine ersten erfreulichen sexuellen Erfahrungen macht und dabei fast von seiner Tante in flagranti erwischt wird. „Schön.“ „Ja, Sie haben so eine Wärme, das habe ich gleich gespürt.“ „Aha…“ Ich kann ja verstehen, dass man ein wenig Wärme und Schutz sucht, wenn man zum ersten Mal alleine und von Flugangst gebeutelt so eine weite Strecke fliegt, aber warum ausgerechnet bei mir? Armes Ömchen! Hoffentlich muss ich sie nicht am Wiener Flughafen an die Hand nehmen. Schnell wieder das Buch auf Augenhöhe.

Der Rest des Fluges verlief verhältnismäßig ruhig, das Ömchen schrieb Postkarten in 4 verschiedenen Farben, Hajime wurde von Izumi schwer enttäuscht verlassen, so heiratete er eine andere und bekam mit ihr zwei Töchter, der coole Anzugträger wachte pünktlich kurz vor der Landung wieder auf und verteidigte jetzt wieder wach die Armlehnen, Hajime verwirklichte sich in der Gastronomie und da taucht endlich Shimamoto wieder auf, das arme Ömchen gibt mir die Stifte zurück und wir landen mit viel Gerumpel eher unsanft endlich in Wien.

„Damals in Afrika, als ich allein mit den zwei kleinen Kindern dort rumgeflogen bin, landeten die Maschinen noch viel unsanfter, aber da waren ja auch die Flugzeuge viel älter und viel, viel kleiner.“
„Aha…“
„Hach, der erste Flug heute war Dank Ihnen eine wahre Freude! Sie strahlen eine so große Herzlichkeit aus, das hat man selten. Bleiben Sie um Himmels Willen so!“
„Hm, danke. Sie fliegen noch weiter?“
„Ja, nach Chişinău. Ich kann doch als Hamburgerin auf keinen Fall den UI-CUP Auftakt vom HSV verpassen!“
Hach, tolle Frau!
3607
hidden_mask - 2007-07-24 19:15

köstlich - einfach nur köstlich deine schilderung

wie schafft man es nur, immer wieder in solche situationen zu geraten, alles so gut im gedächtnis zu behalten und auch noch zu graziös wiederzugeben ...

Desideria - 2007-07-24 20:12

Vielen Dank! Warte erst mal ab, bis ich den Rest des Wochenendes erzähle ;)

... erst der Zeit hinterherrennen, dann möglichst schnell niederschreiben, wenn es geht an inspirierenden Orten. Dieser Text entstand z. B. bei starkem Sturm im Bett deines Erstgeborenen, der mich liebenswürdiger Weise darin nächtigen ließ ;)
hidden_mask - 2007-07-24 20:28

ah - ich verstehe:
  • in österreich geschrieben ...
    wo es im zimmer so heiss war und wegen des sturmes kaum ein öffnen des fensters möglich war
  • nach deutschland importiert ...
    natürlich ohne verletzung des urheberrechtes, weil du ja selbst verfasser des schriftstückes warst und dies auch am flughafen mittels deiner handschrift nachweisen konntest
  • um dann das wertvolle schriftgut dann digital zu transferieren ...
    in der wohnung, wo ein anrufbeantworter herumsteht, der einen tollen blau leuchtenden touchscreen hat; jedoch nicht mehr funktioniert, weil die katzen blad herausbekommen hatten, wie er zu bedienen ist
*lach*
ist ja ein tolles rezept, werde mir das merken
Desideria - 2007-07-24 21:03

ja, so ungefähr ;)
hidden_mask - 2007-07-24 21:08

brauchst eines - such dir eines aus ;-}
Idoru - 2007-07-25 23:22

gutes buch (wenn auch nicht murakamis bestes, meiner bescheidenen meinung nach) und: cooles ömchen.

Desideria - 2007-08-10 14:04

Welches ist denn sein bestes, deiner bescheidenen Meinung nach?
seenia - 2007-07-26 09:58

sie

kommen aus hamburg? :-)
ähm. wir sind ab dem 11.august das zweite mal dort. jetzt wollte ich mal fragen, ob sie uns allenfalls ein gutes/günstiges/gemütliches hotel empfehlen könnten? :-)
liebe grüsse aus zürich :)

Desideria - 2007-08-10 14:05

Das hier finde ich ganz lustig:

http://www.25hours-hotel.com/25h/index.html

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